Meine Rede zum Sorgerecht

Sehr geehrte Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren!

Anders als diverse Herren vor mir, die vor allem aus selbst erlebter Betroffenheit gesprochen haben, versuche ich das hier etwas sachlicher zu machen. Ich binim Nebenjob ja noch Fachanwältin für Familienrecht und hoffe, Ihnen einen etwas vernünftigeren Überblick über dieses Thema geben zu können.

Die AfD redet in ihrem Antrag von vaterloser Kindheit. Vaterlose Kindheit – dieser Begriff ist schlicht polemisch und hat mit dem modernen Familienrecht aber auch gar nichts mehr zu tun. Alle Familienrichter und -richterinnen, ob progressiv oder konservativ, sind sich heute darüber einig, dass für ein gedeihliches Aufwachsen eines Kindes beide Elternteile erforderlich sind.

Wichtig ist allerdings erst einmal, die Begriffe etwas zu sortieren, die in dem AfD-Antrag etwas durcheinandergeraten sind.

Das Sorgerecht besagt im Grunde vor allem, dass sich sorgeberechtigte Elternteile über sorgerechtsrelevante Fragen abstimmen müssen, beispielsweise über Kita- und Schulwahl oder wichtige medizinische Eingriffe. Viel wichtiger als das Sorgerecht als Ganzes, ist das Aufent-haltsbestimmungsrecht, das Teil des Sorgerechts ist, sowie vor allem das Betreuungsmodell, das Eltern mit den Kindern in der Praxis leben. Nicht umsonst geht die familiengerichtliche Rechtsprechung derzeit immer mehr Richtung Wechselmodell. Maßstab familiengerichtlicher Entscheidungen ist immer das Wohl des Kindes, nicht die vermeintlichen Elternrechte, weder Väterrechte noch Mütterrechte. Im Fokus stehen muss das Kind.

Familiengerichte betreiben heutzutage einen erheblichen Aufwand, um in jedem Einzelfall die beste Lösung für das Kind zu finden. Es werden Jugendämter angehört, Verfahrensbeistände bestellt, in vielen Fällen gibt es sogar Sachverständigengutachten –alles immer mit der Zielrichtung, für das Kind die möglichst beste Entscheidung zu haben und beide Elternteile so gut wie möglich zu erhalten. Wer da noch wie hier die AfD von einer „vaterlosen Kindheit“ redet, zeigt nur eines, nämlich dass er einem völlig veralteten Familienbegriff anhängt, der mit moderner Familienpolitik und dem Familienrecht heutzutage nichts mehr zu tun hat.

Mit ihrem Antrag möchte die AfD nun ein gemeinsames Sorgerecht per Zwang ab Geburt des Kindes. Dies geht deshalb an der Realität von Familien vorbei, weil es heute schon ganz einfach ist, ein gemeinsames Sorgerecht zu haben. Die Eltern müssen nur einfach zusammen zum Jugendamt gehen und können völlig ohne Beteiligung des Gerichts eine Sorgeerklärung abgeben. Das machen heutzutage so gut wie alle unverheirateten Eltern, ungefähr 90 Prozent. Wir haben also inder Realität schon längst den Regelfall „gemeinsames Sorgerecht“.

Aber es gibt natürlich Ausnahmefälle, in denen ein zwangsweise verordnetes gemeinsames Sorgerecht gar nichts bringt. Bei hochstreitigen Elternverhältnissen oder von Gewalt geprägten Beziehungen bringt ein gemeinsames Sorgerecht gar nichts – nur eine zusätzliche Belastung des Kindes. Denn um sorgerechtsrelevante Fragen gemeinsam entscheiden zu können, muss man miteinander reden können. Eltern, die nicht reden können, sondern alles nutzen, um sich nur zu streiten, können kein gemeinsames Sorgerecht ausüben. Ergebnis ist dann nämlich, dass über jede sorgerechtsrelevante Frage vor den Gerichten über Jahre gestritten wird und das Kind zum Zankapfel wird.

Im Rechtsausschuss hatten wir als Koalition kürzlich einen Familienrichter eingeladen, der aus der Praxis berichtete. Ich habe ihn mal gefragt, ob er es nicht gut fände, vor Anrufung des Gerichts eine Elternberatung ver-pflichtend zu machen – ein Vorschlag, der zumindest diskutiert werden sollte. Auf der Hand liegt jedenfalls das Ergebnis: Das Angebot an Beratung ist auszubauen, auch das Angebot an Mediation. Es heißt übrigens „Mediation“ und nicht, wie der Mensch von der AfD gesagt hat, „Meditation“. Das ist etwas anderes.

Die Jugendämter, die seit Jahren an Personalmangel lei-den, sind personell besser auszustatten. Eltern, die gut beraten werden, lernen nämlich, mit Konflikten besser umzugehen.

Jetzt würde ich gerne zum Schluss kommen: Kinder brauchen kooperierende Eltern, die an einem Strang zie-hen. Dann ist auch eine gemeinsame Sorge gut und rich-tig. Was wir nicht brauchen, ist ein zwangsweises ge-meinsames Sorgerecht, wie es die AfD hier möchte.

Vielen Dank!

Antrag der AfD-Fraktion, der im Plenum behandelt wurde.

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