Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Alle Wahlen, die jetzt in Deutschland anstehen, auch unsere Wahlen in Berlin, stehen wie unser gesamtes derzeitiges Leben unter dem Eindruck der Pandemie. Unsere eingeübten demokratischen Abläufe mit Versammlungen und geheimen Abstimmungen funktionieren nicht mehr, jedenfalls nicht so, wie wir es gewohnt sind. Wir brauchen daher ein neues Wahlrecht, das unter Coronabedingungen funktioniert, aber vor allem muss das neue Wahlrecht rechtssicher sein und dem Datenschutz Genüge tun.
Werfen wir einen Blick auf die Wahlgrundsätze! Die Wahlgrundsätze sind im Grundgesetz, aber auch für Berlin in unserer Berliner Verfassung geregelt. In unserer Berliner Verfassung heißt es:
Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, geheimer und direkter Wahl gewählt.
Das muss unser Maßstab für dieses Gesetz sein, und das war der Maßstab für dieses Gesetz. Die Allgemeinheit der Wahl gebietet, dass jede Bürgerin und jeder Bürger wählen darf. Die Gleichheit garantiert, dass jede Stimme den gleichen Wert hat. Die Geheimheit ist gegeben, wenn die Stimmabgabe niemand anderem offenbart wird.
Einen weiteren Wahlgrundsatz, der eben auch von Herrn Vallendar angesprochen wurde, hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Rechtsstaatsprinzip entwickelt, den Wahlgrundsatz der Öffentlichkeit der Wahl. Öffentlichkeit bedeutet, dass die Wahl nachvollziehbar sein muss, und zwar müssen alle wesentlichen Schritte der Wahl von der Abgabe bis zur Auszählung nachvollziehbar sein. Hier liegt die größte Herausforderung bei digitalen Wahlen. Die Nachvollziehbarkeit ist es, die digitale Wahlen so schwierig macht. Selbst wenn es tatsächlich möglich wäre, ein digitales Wahlverfahren absolut sicher zu gestalten, was viele IT-Sicherheitsexperten schon für völlig unmöglich halten, so wäre es doch niemals für Laien nachvollziehbar.
Der Knackpunkt ist für uns als Grüne, dass an der Nachvollziehbarkeit von der Stimmabgabe bis zum Ergebnis nicht gerüttelt werden darf. Daher halten wir rein digitale Wahlen derzeit nicht für realisierbar. Wir meinen, es gibt derzeit keine absolut sicheren und für Laien nachvollziehbaren technischen Systeme. Dazu kommt, dass jeder Fehler in einem solchen digitalen System, sei es ein Problem mit der Verarbeitung der Stimmen oder eine Sicherheitslücke, das Vertrauen in die Wahl beschädigen würde. Vertrauen ist aber das, was Legitimität schafft. Das gilt natürlich insbesondere für staatliche Wahlen, also die Wahlen zum Abgeordnetenhaus, und Wahlen, die staatliche Wahlen vorbereiten, also die Listenaufstellungen und die Aufstellung der Wahlkreiskandidatinnen und Wahlkreiskandidaten.
Anders ist es bei reinen internen Parteiwahlen. Hier kann es durchaus digitale Lösungen geben, die auf den Parteitagen mancher Parteien auch schon genutzt wurden, auch von uns. Hier gibt es schon viele ausgeklügelte Ansätze. Denkbar ist zum Beispiel, dass im Vorfeld jede Delegierte mehrere Zugangscodes erhält, um an den Wahlgängen teilzunehmen und diese Codes nach dem Versand gelöscht werden. Dann könnte ein Wahlanbieter, der in keiner Verbindung zur Partei steht, die Liste aller Zugangscodes erhalten ohne Zuordnung zu den Personen und die Wahl technisch so organisieren, dass jede und jeder Delegierte seine eigene Stimme nachvollziehen kann. Gleichzeitig dürfte es aber für keinen Dritten einsehbar sein, wie die Einzelperson abgestimmt hat.
Solche digitalen Lösungen, wie ich sie eben vorgestellt habe, sind zwar schon recht ausgeklügelt, haben aber alle schwache Punkte. Ich nenne nur ein Bei-spiel in dem eben erläuterten Modell: Da jede wählende Person dabei nur ihre eigene Stimme nachvollziehen könnte, könnten Personen, die mit dem Ergebnis der Wahl nicht einverstanden sind, behaupten, dass ihre eigene Stimme falsch gezählt wurde. In solchen Fällen müssten sich die Gerichte damit auseinandersetzen. Solche Risiken können wir aus unserer Sicht für staatliche Wahlen, auch nicht für Listenaufstellungen, eingehen. Eine mögliche Wahlmanipulation oder schon der bloße Glaube daran, beschädigt das gesamte System. Das Dilemma zwischen Nachvollziehbarkeit und Geheimhaltung ist kaum aufzulösen.
Daher haben wir uns in Berlin nun an dem Weg orientiert, den der Bund eingeschlagen hat. Das Bundeswahlrecht erlaubt jetzt bei Listenaufstellungen eine Nominierung über eine elektronische Abstimmung. Anschließend muss es aber eine Bestätigung in einem schriftlichen Verfahren geben. Inzwischen hat das BMI, das hat Herr Schlüsselburg auch schon gesagt, die entsprechende Rechtsverordnung für den Bund erlassen.
Wie sieht es nun bei uns in Berlin aus? Die Wahl zum Abgeordnetenhaus kann nach unserer Novelle als reine Briefwahl stattfinden. Die reine Briefwahl ist jedoch nur die Rückfalloption für den Extremfall, von dem wir nicht hoffen, dass er eintritt. Diese soll nur angeordnet werden, wenn das Infektionsgeschehen auch im Herbst noch so massiv ist, dass es gar nicht anders geht, und nur dann, wenn auch der Bundestag per Briefwahl gewählt wird. Eine Abgeordnetenhauswahl als reine Briefwahl hängt also in Berlin ab von der Entscheidung im Bund.
Die Novelle legt nun auch in Berlin fest, dass die Parteien bei den Listen- aufstellungen hybride Formate benutzen können, also eine Versammlung als Videokonferenz, allerdings mit anschließender Brief- oder Urnenwahl. Die Schlussabstimmung muss also auch in Berlin bei einer Listenaufstellung schriftlich oder per Urne erfolgen.
Aus unserer Grünen-Sicht ist es jedenfalls vollkommen richtig, dass wir die Listenaufstellung nicht rein digital machen. Diesen Ansatz haben wir als Grüne von Anfang an vertreten in den Verhandlungen, die für uns hauptsäch- lich Herr Wesener geführt hat. Wir finden es sehr, sehr schön, dass wir uns damit durchsetzen konnten.
Nun komme ich zum Schluss. Das geänderte Wahlrecht ist meiner Auffassung nach notwendig und richtig, muss nun aber zwingend ausgefüllt werden durch eine entsprechende Verordnung der Senatsinnenverwaltung. Dort sind noch offene Fragen, auf die es jedoch sehr ankommen wird, konkret zu regeln. Hier sollte meiner Auffassung nach bald Klarheit geschaffen werden. Die Senatsverwaltung ist diesbezüglich durchaus jetzt in der Pflicht.
Auf die Landeswahlleitung wird eine große Verantwortung in Berlin zukommen. Sie müssen schließlich umsetzen, was jetzt im Gesetz steht und was in der dann noch kommenden Verordnung stehen soll. Auch die Landesvorstände der Parteien werden sehr gefordert sein. Sie erhalten durch das jetzige Gesetz viel Spielraum, um nicht zu sagen, viel Gestaltungsmacht, denn sie entscheiden konkret über die Aufstellungsverfahren sämtlicher Parteigliederungen. Im Fazit ist uns also ein Gesetz gelungen, das meiner Auffassung nach die Wahlen so pandemiefest wie möglich macht, ohne allzu große rechtliche Unsicherheiten zu produzieren. Ich bin sehr froh, dass wir auf rein digitale Listenaufstellungen verzichtet haben. Uns als Grünen ist insbesondere die Rechtssicherheit und der Datenschutz wichtiger als vorschnelle und vielleicht unsichere Lösungen. Freie und geheime Wahlen sind schließlich das Herzstück unserer Demokratie und müssen über jeden Zweifel erha- ben sein. – Vielen Dank!
Die gesamte Rede als Video ist hier zu finden.
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