Lock-Down, Lock-Down light oder Wellenbrecher – egal welche Begrifflichkeit wir wählen, das Ergebnis ist die Einschränkung des gesellschaftlichen Lebens. In allen Bereichen muss die Politik im Moment Regeln treffen: Am Arbeitsplatz, in Geschäften und sogar beim privaten Miteinander. Das ist für uns als Gesellschaft neu: Das Regulieren unseres gesamten Zusammenlebens bis in das Private hinein ist ungewohnt, manchmal auch ziemlich unerträglich und erfordert Akzeptanz von uns allen.
Und ja, unsere Grundrechte sind verletzt, sie sind versehrt. Die Versammlungsfreiheit, die Religionsfreiheit, die Berufsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht, unsere Handlungsfreiheit.
Gerade wir als Bündnis-Grüne, die wir uns Bürgerrechten und Freiheitsrechten sehr verbunden sehen, schauen hier sehr sensibel auf die Grundrechte.
Einige Verfassungsrechtler reden gar von praktisch „grundrechtsfreien Zeiten“. So gut wie alle Grundrechte sind derzeit eingeschränkt.
Dies gilt insbesondere für die Versammlungsfreiheit, die neben der Meinungsfreiheit das demokratischste Grundrecht ist. Gerade in der Zeit der Krise ist es eine demokratische Ressource, auf die Straße zu gehen und seine Meinung zu sagen, und zwar auch dann, wenn sie uns nicht gefällt. Am Ende hängt jedoch jedes GR davon ab, dass man noch das Haus verlassen kann.
In der öffentlichen Debatte, gerade unter Jurist*innen wird mit harten Worten die Regierungspolitik kritisiert, sowohl in Bezug auf den Bund, aber auch in Berlin.
Der Vorwurf: Seit Corona gebe es im Grunde nur eine der drei Gewalten in Deutschland – und zwar die Exekutive. Die Parlamente würden dadurch ihre Bedeutung verlieren, es werde nur noch von oben regiert, wir würden zu einem autoritären Verordnungsstaat werden, in dem nur noch die Exekutive das Sagen habe und die Entscheidungen treffe.
Das ist natürlich überspitzt, auch polemisch, aber eins ist richtig:
Die Demokratie muss sich gerade in der Krise bewähren. Sie ist ein stets lernendes, sich selbst korrigierendes System.
Gerade in Krisen bewährt sich der Rechtsstaat. Demokratische Abstimmungsprozesse sind seine Stärke, sein Herz ist das Parlament als Gesetzgeber und Ort für Debatten, aber auch für Entscheidungen.
Der Bundesgesetzgeber hat inzwischen gehandelt. Er hat durch den neuen § 28 a InfSG in Form von Regelbeispielen die zuvor in den Verordnungen geregelten Instrumente in das Gesetz aufgenommen. Er ist weg von der zuvor bestehenden Generalklausel, die als Grundlage für die Pandemie – Regeln viel zu unbestimmt war.
Nun war es an den Landesparlamenten, nachzuziehen und sich ihrerseits konkrete Gesetze zu geben, vor allem Verfahrensgesetze, die die Parlamentsbeteiligung regeln.
Ob ein Land diese Kompetenz hat, ist nicht so einfach zu beantworten, wie so oft, wenn es um Landesgesetze geht. Art. 80 Abs. 4 GG ist hier die interessante Vorschrift.
Die Landesparlamente haben danach die Gelegenheit, anstelle des Verordnungsgebers durch Gesetz zu handeln. Auf diese Kompetenz ist das ParlamentsbeteiligungsG gestützt, es gibt vor allem Verfahrensregeln vor und knüpft vom Aufbau an die Zweistufigkeit des 28a InfG an, also an die Unterscheidung zwischen Maßnahmen, die besonders massiv in Grundrechte eingreifen und die weniger schweren Maßnahmen, wobei betont sei, dass diese auch nicht ohne Grundrechtsrelevanz sind.
Die drei konkreten besonders schweren Maßnahmen des 28a II, also Versammlungsverbote, Ausgangsbeschränkungen und die Untersagung von Betreten von Pflegeheimen machen wir mit dem Gesetz von einem Zustimmungsvorbehalt abhängig. Solche Maßnahmen benötigen zum Inkrafttreten die Zustimmung des AGH.
Ich betone: Die Maßnahmen sind nach dem neuen Gesetz nicht erst in Kraft und treten nur außer Kraft, wenn das Parlament nicht zustimmt – auch dies wäre ein juristisches Modell gewesen – . Die Maßnahmen brauchen zum Inkrafttreten das Abgeordnetenhaus. Allerdings – und das finde ich sehr beruhigend, ist eine Sicherung eingebaut: Stimmt das AGH nämlich nicht bis zum 4. Werktag nach Übersendung der VO zu, tritt diese in Kraft, wenn das AGH gehindert ist.
Es liegt in solchen Fällen also bei uns, zu handeln und die Kompetenz, die wir uns mit dem Gesetz als Parlament geben, auch zu nutzen. Das wird im Zweifel mehr Arbeit machen, holt jedoch bei sehr krassen Maßnahmen die Entscheidung in das Parlament und gibt ihnen so eine parlamentarische Legitimation.
Und nicht vergessen darf man natürlich – die meisten RVO’s des Senats betreffen gar nicht die oben genannten drei besonders krassen Fälle. Und in allen anderen Fällen gibt es keinen Zustimmungs-, sondern nur einen Ablehnungsvorbehalt. Das heißt, die SenatsRVO’S sind in Kraft, solange es keinen Einspruch des Parlaments gibt. Auch hier liegt es wieder an uns als Parlament, unsere Möglichkeiten zu nutzen. Wir müssen zwar nicht innerhalb von drei Tagen zusammentreten, jedoch die Maßnahme praktisch an uns ziehen und Einspruch erheben, am besten gleich mit einem Änderungsvorschlag.
An dieser Stelle möchte ich darauf abheben, dass uns diese Möglichkeit auch schon früher zustand, schließlich ist es schon nach unserer jetzigen GO möglich, RVO’s des Senats an uns zu ziehen und sie nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern Ersuchen an den Senat zu richten oder statt der RVO ein Gesetz zu erlassen. Wir haben dieses Instrument auch schon genutzt, wenn auch nicht gerade inflationär, ich erinnere mich jedoch gut an unser Ersuchen betreffend die Versammlungs- und Religionsfreiheit im Sommer.
Die Hoffnung ist nun, dass von dem Gesetz nicht nur ein Signal ausgeht, sondern wir von unserem parlamentarischen Kompetenzen auch Gebrauch machen. Hierzu werden wir zumindest durch die 3-Tages-Frist für die Zustimmung für die besonders krassen Maßnahmen gezwungen werden – es liegt jedoch an uns, auch bei den anderen Senats-Maßnahmen tätig zu werden und die Debatte um die richtigen Maßnahmen in das Parlament zu holen.
Das Gesetz wird so auch mehr Akzeptanz für die Regeln schaffen.
Der Vollzug von Regeln ist leichter, wenn Akzeptanz da ist und Kooperation.
Den Parteien wird oft vorgeworfen, sich aus parteipolitischen Interessen zu verzanken. Genau das darf in einer Krisensituation nicht sein, insoweit ist die Pandemie auch eine Bewährungsprobe für die Kooperationsfähigkeit der Parteien, in diesem Falle der Fraktionen im AGH.
Hier ist es nun gelungen, trotz vieler widerstreitender Interessen und der unterschiedlichsten Meinungen der beteiligten Politiker*innen ein Gesetz zu bauen, das insgesamt in sich stimmig ist und das Ringen um vernünftige Regeln zeigt, die dem Senat nicht die Kompetenz wegnehmen, schnell und flexibel zu entscheiden, aber doch das Parlament stark machen als Ort der Debatten und Entscheidungen.
Besonders erfreulich ist, dass ein fraktionsübergreifendes Gesetz gelungen ist – fraktionsübergreifend bis auf die Seite hier ganz rechts außen, auf die wir hier allerdings auch gut verzichten konnten.
Man darf also zuversichtlich sein im Hinblick auf unsere Demokratie. Sie bewährt sich zur Zeit. Es wird gerungen um die besten Abwägungen zwischen Gesundheitsschutz und Einschränkungen.
Und zu ringen, darf man auch dem AGH zumuten, ja, man darf es von ihm erwarten. Nehmen wir diese Aufgabe also weiter an und debattieren und streiten wir um die einzelnen Corona-Regeln noch ein Stück weit mehr als wir es bisher schon tun – hier im Plenarsaal.
Vielen Dank.
Das Video zur gesamten Rede findet sich hier.
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