Bericht: Rechtsausschuss vom 18.05.2022

In dieser Sitzung ging es um das Ergebnis der Justizministerkonferenz, die Ausbildung von Gerichtsvollziehern, die Fortsetzung der Anhörung zu dem Thema „konfrontative Religionsausübung“ und den Sanierungsbedarf der Justizgebäude.

Punkt 1 der Tagesordnung

Aktuelle Viertelstunde

Die Justizsenatorin berichtete von der Frühjahreskonferenz der Justizminister*innen (JuMiKo). Einer der Punkte war die Vermeidung und Reduzierung von Ersatzfreiheitsstrafen. Trotz der Empfehlung der JuMiKo 2019 zur Änderung des Umrechnungsmaßstabs des § 43 StGB verbüßen nach wie vor 10% der Inhaftierten Ersatzfreiheitsstrafen. Nach § 43 StGB wird bei der Umwandlung einer Geldstrafe in eine Freiheitsstrafe ein Tagessatz (= Verdienst eines Tages) mit einem Tag Freiheitsentzug gleichgesetzt. Dies führt dazu, dass Geringverdiener oder Menschen ohne Einkommen, wenn sie die Geldstrafe nicht zahlen können, überproportional häufig und lange eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen. In einer Beschlussvorlage zu dieser Problematik, wird vor Umwandlung der Geld- in eine Freiheitsstrafe die nachträgliche Herabsetzung der Tagessatzhöhe angeregt.

Berlin hat sich auf dieser Konferenz für eine Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein ausgesprochen. Dieser Tatbestand wird häufig von Menschen verwirklicht, die sich aus finanziellen Gründen keinen Fahrschein leisten können.

Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeitet konkrete Handlungsbedarfe zur Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Solche Fälle sollen beispielsweise in Zukunft besser erfasst werden. Es solle eine Studie über die Behandlung von Femiziden in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geben.

Durch Förderung von Netzwerkarbeit und psychosozialer Prozessbegleitung soll die Bekämpfung von antisemitistischen Straftaten gestärkt werden.

Zu den Aktionen der Kimaaktivist*innen durch Festkleben auf Berliner Autobahnen und Straßen führte die Senatorin aus, dass bisher keines der 52 Ermittlungsverfahren gegen die 32 Beschuldigten abgeschlossen wurde.

Auf meine Frage nach der Ausbildung der Gerichtsvollzieher*innen erklärte sie, dass es für eine Akademisierung der Ausbildung, wie in Baden-Württemberg mit einem Bachelorabschluss derzeit keine konkrete Planung gibt. Laufbahnrechtliche und organisatorische Fragen müssten hierzu erst geklärt werden. Sie sehe bei den Gerichtsvollzieher*innen jedoch deutliche Aufgabenzuwächse, so dass sie sich das Modell in Baden-Württemberg genau anschauen werde. Ein Ausschlusskriterium für eine solche akademisierte Ausbildung sei jedoch, wenn Beamte des mittleren Dienstes diese Ausbildung dann nicht wahrnehmen könnten. Die Gespräche mit den Gerichtsvollzieher*innen werde sie fortsetzen.

Punkt 2 der Tagesordnung

a) Antrag der Fraktion der CDU (Drs. 19/2013)

Arbeit der freien Träger bei der Antisemitismusbekämpfung langfristig sichern  und finanzieren! 

b) Antrag der Fraktion der CDU (Drs. 19/0102)

Kein Wegducken bei konfrontativer Religionsbekundung – Planungssicherheit für die Forschung

 Zu diesen beiden Anträgen haben wir die Anhörung aus der letzten Sitzung fortgesetzt.

Carl Chung (Fachleiter für politische Bildung & Projekte „Jehi Ór – jüdisches Bildungswerk für Demokratie – gegen Antisemitismus“)

Herr Chung definiert konfrontative Religionsbekundung als das Instrumentalisieren von Religion und religiösen Traditionen in Konfliktsituationen, um Dominanz auszuüben. Hier sei der Kontext der Bekundung entscheidend. Zu den Betroffenen gehörten auch Zugehörige der Wir-Gruppe. Es gebe Konformitätsdruck, durch den auch Mädchen aus muslimischen Familien in ihren Grundrechten auf freie Selbstentfaltung, freie Religionsausübung und Wahrung ihrer persönlichen Identität und Integrität beeinträchtigt würden. Allerdings sei die Betroffenheit nicht nach Gruppen, sondern nach Personen zu beantworten.

Herr Chung bemängelt, dass ein Vertreter des Trägers,  um den es in dem Antrag der CDU geht, nicht zur Anhörung eingeladen worden sei. DeVi sei ein Träger, der sich seit vielen Jahren für Demokratie, gegen Rassismus, gegen Rechtsextremismus, gegen Menschenfeindlichkeit und gegen Antisemitismus insbesondere in der Lehrerfortbildung engagiert habe. DeVi lege großen Wert darauf, dass weltanschauliche Vielfalt etwas mit Religionsfreiheit im negativen und positiven Sinne zu tun hat. Er habe frühzeitig auf diese Probleme reagiert, als andere gesagt hätten, das sprechen wir lieber nicht an. Herr Chung sieht die Gefahr der Stigmatisierung von Muslimen und Muslimfeindlichkeit auch dadurch, das man Probleme in einem bestimmten Kontext nicht thematisiert. DeVi hat das getan. Deshalb sei der Träger für eine solche Stelle geeignet.

Mark Rackles (früherer Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie)

Herr Rackles betonte, dass DeVi keine wissenschaftliche Studie erhoben habe, sondern lediglich eine Bestandsaufnahme an einigen wenigen Schulen mit einzelnen Akteuren in einem Bezirk durchgeführt habe. Dieses Papier könne nicht den Anspruch einer Studie erheben.

Natürlich gebe es auch muslimischen Rassismus. Dies kann jedoch nicht antimuslimischen Rassismus relativieren. Die in dem Antrag geforderte Beobachtungsstelle sei aus seiner Sicht falsch, weil sie stark auf muslimische und islamische Fragestellung negativ konnotiert. Dies könnte zu einer Verschärfung der Probleme vor Ort führen. Das Konzept der „konfrontativen Religionsbekundung“ ist in sich nicht stimmig. Der Kontext ist entscheidend.

Diskriminierungskritische Strukturen müssen aufgegriffen werden durch:

  • Lehrkräfteausbildung, ggf. durch freie Träger, lösgelöst von konkretem Hintergrund
  • Eingehen auf konkreten Kontext mit Spezialisten
  • Sozialarbeit
  • Tandemlösung zwischen Rabbiner und Imamen
  • Unterstützungssysteme bei Mobbing und Diskriminierung

Eine Evaluation in Form einer wissenschaftlichen Studie über Mobbing und Diskriminierung nach Fallgruppen hält er für sinnvoll. Ein datenschutzkonformes stadtweites Monitoring für Mobbing und Diskriminierung sollte ausgebaut und evaluiert werden.

Tobias Nolte (Lehrer an der Gemeinschaftsschule auf dem Campus Rütli)

Die Religion und der Nahost-Konflikt eien sehr emotionalisierend und starke Identitätsmarker, so Herr Nolte. Die Frage sollte sein, wie man damit umgeht. Seiner Meinung nach müssten Räume aufgemacht werden, in denen sich Schüler*innen über Diskriminierungserfahrungen austauschen könnten und sich gesehen fühlten. Lehrende und Lernende haben unterschiedliche Lebens- und Problemwelten. Die Pädagogen müssten sich auf die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen einstellen.

Da der Begriff „konfrontative Religionsausübung“ nicht definiert sei, komme es zu willkürlichen Zuschreibungen. Mit der Dokumentation sei der Konflikt nicht gelöst. Problematisch sei, dass auch Lehrende vorgefertigte Perspektiven mitbrächten. Insofern sei eine Nachprofessionalisierung ggf. notwendig. Lehrende bräuchten hier Unterstützung und Zeit, um den Herausforderungen gerecht zu werden. Um genügend Ressourcen für Beziehungsarbeit und Konfliktgespräche zu haben, wünscht er sich  eine Entlastung bei der Arbeitszeit und kleinere Klassen.

Staatsekretärin Saraya-Hywette Gomis

Die Staatssekretärin gab an, dass sie mit SenBuJuFa, SenIntASoz zur Erkundung der Problemlage im Sinne einer Studie schon im Austausch sei. Eine wie im Antrag geforderte Meldestelle sei voraussichtlich LADG-relevant. Die grundlegenden Probleme seien schon länger bekannt. Sie sehe dies als Ausdruck mangelnder Professionalisierungsangebote in allen Phasen der Aus-. Weiter- und Fortbildung für Lehrkräfte. Es würden strukturelle und institutionelle Veränderungen benötigt.

Senatorin Prof. Dr. Lena Kreck

Auch die Senatorin befürwortet eine entsprechende Studie. Allerdings genüge die Bestandsaufnahme von DeVi e.V. keinen fachlichen Standards. Probleme mit Abwehrerfahrungen, Gelwalt, Mobbing und Diskriminierung unter Schüler*innen und Konflikte im Schulalltag, darunter Konformitätsdruck seien bekannt und würden in der Wissenschaft, Schule und im Rahmen zivilgesellschaftlicher Träger diskutiert. Schule müsse ein angstfreier Raum sein. Der Schutz angefeindeter und diskriminierter Schüler*innen habe absolute Priorität. Es sei notwendig, dass erfolgreiche und an fachlichen Standards orientierte Projekte langfristig finanziert werden. Es müsse eine professionelle Begleitung für angemessene Präventionsarbeit- und Interventionsarbeit und eine Reform der Lehrendenausbildung geben. Durch das geplante Landesdemokratiefördergesetz und Landespräventionsgesetz sei beispielsweise sichergestellt, dass die Arbeit der freien Träger zur Bekämpfung des Antisemitismus, Mobbing, Diskriminierung und zur Förderung der Demokratie auf Dauer abgesichert sei.

Die Anträge wurden vertagt.

Punkt 3 der Tagesordnung

Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abghs

Liegenschaften im Bereich Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung

(auf Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke)

Strafvollzug in Berlin auf die Höhe der Zeit heben – Baumaßnahmen in JVA Tegel wieder aufnehmen

Antrag der Fraktion der FDP (Drs. 19/0175)

Senatorin Prof. Dr. Kreck

Die Senatorin berichtete darüber, dass die Liegenschaften der Justiz über die gesamte Stadt verteilt seien. Diese befänden sich im SILB-Sondervermögen und würden von der BIM verwaltet.

Bei den Gebäuden für Gerichte und Strafverfolgungsbehörden gebe es einen Sanierungsbedarf in Höhe von 329 Mio. €. Die Gebäude der Justizvollzugsanstalten müssten für 657,8 Mio. € Instand gebracht werden. Bei gleichbleibenden Konditionen würde es 32 Jahre dauern den Sanierungsstau abzubauen.

Kathreiner-Haus

Hinsichtlich des Umbaus des Kathreiner-Hauses für den Umzugs des Verwaltungsgerichts gebe es bereits eine Vorplanung. Ob die ursprünglich als Bausumme veranschlagten 43 Mio. € ausreichen, ist derzeit noch fraglich. Die Planungszeit wird noch andauern. Ziel ist es, die Bauphase 2027 abzuschließen. Für die Nutzung des Gebäudes in der Kirchstraße durch das Verwaltungsgericht sein eine Modernisierung dieser Räume notwendig.

Campus Moabit

Auch am Campus Moabit muss saniert werden, um die Funktionalität der Gebäude und die Attraktivität der Arbeitsplätze sicherzustellen.

AG Marzahn-Hellersdorf

Hier sei bereits ein Grundstück in engerer Auswahl. Es seien erste Maßnahme getroffen worden, um das Bauvorhaben zu konkretisieren.

JVA Tegel

Es sei ein externes Planungsbüro beauftragt worden um die Freifläche der Teilanstalt 1 der JVA Tegel zu beplanen. Die Entwurfsstudie mit Kostenschätzung soll als weitere Entscheidungsgrundlage für die Justiz dienen. In der zweiten Jahreshälfte werde ein Ergebnis erwartet. Auf der Arbeitsebene fänden laufend Abstimmungen zwischen SenJustVA, der JVA Tegel und der BIM statt.

Dr. Bernd Pickel (Präsident des Kammergerichts)

Herr Dr. Pickel berichtete von den Plänen zum Neubau der Justizakademie. Das  Küchengebäude des ehemaligen Krankenhauses Moabit soll in der zweiten Jahreshälfte 2023 für ca. 11,7 Mio. € umgebaut werden und die gesamte theoretische Ausbildung in der Justiz unter einem Dach beherbergen.

Der Link des Videostreams: https://www.youtube.com/watch?v=HOu3RnQ19Dw&list=PLgqUxMeOmFHwGeGhstZMYz9-6NyBfJvRa&index=35

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