Wenn Demokratie zu langsam ist … – ziviler Ungehorsam als legitimes Mittel für den Klimaschutz

Podiumsdiskussion an der TU-Berlin vom 11.07.2022

Angesichts der Proteste vieler Klimaschutzaktivist*innen, die unter anderem durch Autobahnblockaden auf die Klimakrise aufmerksam machen, hat mich die TU Berlin am 11.07.2022 zu einer Podiumsdiskussion im Rahmen einer Ringvorlesung eingeladen. Die Veranstaltung fand digital statt. Mit mir auf dem Podium waren Professor Dr. Robin Celikates (Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften an der FU) und Dominik Lange (Extinction Rebellion).

Die an mich gerichtete Einstiegsfrage lautete: Wie ordnen Sie zivilen Ungehorsam ein, als Grüne und Mitglied einer Regierungspartei?“

Hier kommt eine Zusammenfassung meines Beitrages zu der Diskussion:

Ich freu mich erst einmal hier zu sein und einen Wissenschaftler hier zu haben, der zu dem Thema viel gearbeitet hat und einen Vertreter der Klima-Aktivist*innen. Das zeigt erst einmal, dass es auch eine Chance gibt, dass Politik und Klimabewegung miteinander reden können und nicht das eine gegen das andere ausgespielt werden muss. Bei aller Unterschiedlichkeit der Ansätze.

Also die an mich gestellt Frage: Wie ordne ich Aktionen zivilen Ungehorsams ein, als Grüne und Mitglied einer Regierungspartei? Das ist eine sehr grundsätzliche Frage, auf die ich keine einfache Antwort habe und ich glaube auch niemand bei uns Grünen eine einfache Antwort hat. Dennoch möchte ich den Versuch unternehmen, hierzu aus meiner Perspektive als Abgeordnete etwas zu sagen, aber auch zu meiner individuellen Auffassung dazu:

Erst einmal denke ich persönlich, dass politischer Protest, und zwar auch in Form von zivilem Ungehorsam zu einer Demokratie dazu gehört. Eine Demokratie besteht ja zum einen aus ihren Institutionen, also den Parlamenten, der Regierung, den gewählten Parteien etc, zum anderen aber auch aus der Gesellschaft als Ganzes.

An dieser Stelle muss man sich fragen, ob überhaupt alle Mitglieder der Gesellschaft abgebildet sind in den bestehenden demokratischen Strukturen. Die Klimabewegung nimmt ja mit ihren Aktionen für sich in Anspruch, auch für künftige Generationen zu sprechen und für die Kinder und Jugendlichen, die jetzt schon leben und von dem Klimawandel später viel mehr betroffen sein werden als wir hier alle. Und ja, Kinder und Jugendliche dürfen nicht wählen, sie sind also nicht vertreten im demokratischen Prozess, wie wir ihn heute haben, das ist im Grunde ein Demokratie-Defizit. Schon daraus resultiert für mich meine persönliche Auffassung, dass es möglich sein muss, ihnen eine Stimme zu geben in Form von Klima-Aktionen.

Für mich als grüne Parlamentarierin bedeutet das, was kann ich innerhalb des bestehenden Systems tun, um das beschriebene Demokratiedefizit abzubauen. Unsere Antwort ist dazu, das Wahlalter zu senken, was wir jetzt gerade im AGH machen, nämlich auf 16, nicht nur für die BVV-Wahlen, auch für die AGH-Wahlen. Wobei wir als Grüne übrigens nicht nur Wahlen für unter 18-jährige öffnen wollen, sondern auch für Menschen, die hier leben, aber keine dt. Staatsangehörigkeit haben, aber das ist ein anderes Thema.

Zurück zur Frage des zivilen Ungehorsams: Für mich stellt sich die Frage der Unterscheidung in Legalität und Legitimität. Ich bin ja nicht nur Parlamentarierin, sondern auch Juristin. Als solche kann ich ganz klar benennen, dass die Aktionen nicht legal sind, was ja auch allen, die daran teilnehmen, bewusst ist, was aber natürlich dazu führen muss, dass der Rechtsstaat hier greift, also die Betroffenen die strafrechtlichen Konsequenzen tragen müssen, so wie jeder Mensch, der eine Straftat begeht.

Weiter stellt sich für mich die Frage der Wirksamkeit und Sichtbarkeit der Aktionen. Es gibt wohl kaum ein wirksameres Mittel, sichtbar zu werden als den Autoverkehr lahm zu legen. Meine Wahrnehmung dazu ist, die Aktionen verändern den politischen und gesellschaftlichen Diskurs um das Klima-Thema. Allerdings in beide Richtungen. Konservative Kräfte nutzen die Illegalität der Aktionen, um sie in eine radikale Ecke zu stellen. Das spaltet natürlich, hier lauert eine Gefahr. Bekundet man als Grüne Solidarität mit den Forderungen, wird einem von Konservativen schnell vorgeworfen, auf der falschen Seite des Gesetzes zu stehen. Auch bei uns Grünen gibt es Stimmen, die sich fragen, ob diese Protestformen gesellschaftliche Mehrheiten für den Klimaschutz eher gefährden als dem Klimaschutz zu helfen. Meine Wahrnehmung ist allerdings differenzierter. Natürlich sind viele Leute extrem genervt, verständlich. Ich sehe aber auch, dass die Aktionen die Leute schon aufrütteln und die Klimadebatte in gesellschaftliche Schichten tragen, die damit bislang wenig am Hut hatten. Diese Debatte, auch wenn sie ja sehr kontrovers diskutiert wird, ist jetzt viel sichtbarer, was ja der Sinn der Sache ist.

Ich selbst habe für mich einen anderen Weg gewählt und bin u. a. bei den Grünen eingetreten, weil das die Partei ist, die sich am stärksten für Klimaschutz einsetzt.

In unserem Programm ist die Klimakrise als eine der größten Bedrohungen für ein gesundes Leben benannt. Benannt ist, dass wir nicht nur eine Kurskorrektur brauchen, sondern einen neuen Kurs, also auch eine grundlegende Änderung unserer Wirtschaftsweise mit dem Ziel Klimaneutralität, also komplett raus aus den fossilen Energien. Ich möchte jetzt nicht das grüne Programm erläutern, dafür bin ich ja jetzt nicht hier, jedenfalls ist es ziemlich ambitioniert.

Politische Realität ist allerdings, nach der Wahl kommt die Regierungsbildung und der Koalitionsvertrag. Im Berliner Koalitionsvertrag steht das Ziel der Klimaneutralität Berlins entsprechend des Pariser Klimaschutzabkommens, im Sinne des 1,5 Grad – Limits. Dann folgen die konkreten Maßnahmen, Pflicht zu Solardächern, Mischwaldprogramm, Mobilitätswende etc. Im Vordergrund dabei die Sozialverträglichkeit, also eine transformative Politik, die Kilmaschutz und Sozialverträglichkeit verbindet. Diese Verschränkung halte ich für wichtig.

Unsere grünen Ziele sind radikaler, als das, was sich in der Politik dann umsetzen lässt. Das ist eine Tatsache, manchmal ist das frustrierend. Politik innerhalb der parlamentarischen Strukturen ist immer Kompromiss. Ohne Mehrheiten gibt’s keine Gesetzesänderungen und keine Beschlüsse.

In der parlamentarischen Arbeit wird man durch die Klima-Aktionen darauf gestoßen, die langfristige Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren. Der parlamentarische Betrieb ist ja sehr durch die aktuelle Tagespolitik bestimmt. In der Rechtspolitik, die ich ja im AGH betreibe, geht es zum Beispiel derzeit um die die Bedingungen in Berliner Gefängnissen, die Resozialisierung Strafgefangener, um mehr Schutz vor häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder, die ja während Corona leider sehr zugenommen hat, lauter wichtige tagespolitische Themen.

Aber mal als Einblick ins Parlament, konkret auf die Autobahnblockaden bezogen: Im AGH haben wir im Frühjahr 2022 über die Autobahnblockaden eine Debatte gehabt wegen eines FDP-Antrags, der eine Extra-Schwerpunkt-StA in Berlin einrichten wollte, nur um die Aktivist*innen im Zusammenhang mit den Autobahnblockaden schneller zu verurteilen. Den Antrag haben wir rot-grün-rot abgelehnt, aber die Debatte im AGH zeigte, wie leicht es für konservative Parteien ist, die Ziele der Aktivist*innen völlig zu ignorieren und populistisch immer wieder laut zu erzählen, dass Krankenwagen behindert werden etc. Ich denke, dass die Debatte trotzdem nicht geschadet hat, immerhin waren die Regierungsfraktionen sich einig, dass wir wegen der Autobahnblockaden nun keine Sonderstrukturen in der Justiz brauchen.

Mein Fazit und mein Weg ist es, dass ich Änderungen innerhalb des Systems möchte, innerhalb bestehender Strukturen und diesen Weg auch für möglich halte, auch, wenn er oft kleinteilig, mühevoll und langsam ist. Wobei, und damit möchte ich schließen, die politischen Strukturen in die Gesellschaft mehr geöffnet werden sollten, neben der Wahlalter-Frage auch mit mehr Bürger*innenbeteiligung wie zum Beispiel dem Klima-Bürger*innenrat.

Dass daneben, also neben den parlamentarischen Strukturen, politischer Protest sein muss, halte ich für einen Ausdruck lebendiger Demokratie.“

Es entstand nach den Wortbeiträgen vom Podium eine lebhafte, auch kontroverse Debatte.

Professor Celikates vertrat ebenfalls die Meinung, dass auch ziviler Ungehorsam Teil der Demokratie sei. Er betonte, dass die Lobby-Arbeit starken Einfluss auf die Politik nehmen könne, Einzelnen aber diese Möglichkeit verwehrt bleibe. Zivile Gruppen müssten daher zu anderen Maßnahmen greifen, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Der Druck von der Straße sei wichtig, damit Institutionen ihren Antrieb nicht verlieren.

Dominik Lange von Extinction Rebellion schilderte die Motivationslage hinter den Aktionen und berichtete sehr persönlich von seinen Erfahrungen. Die Einschläge der Klimakatastrophe kämen immer näher. Viele hätten Angst vor der Zukunft. Dies führe zu Wut und Hoffnungslosigkeit. Die existentielle Bedrohung durch den Klimawandel würde den zivilen Ungehorsam rechtfertigen, es müsse ein Aufschrei durch die Bevölkerung gehen.

Im Fazit denke ich, dass die Klimakrise das größte Thema unserer Zeit ist, auch wenn der Krieg in der Ukraine natürlich derzeit alles andere überschattet und auch große Auswirkungen auf unseren Umgang mit Energie hat. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und Tiere in Verantwortung für künftige Generationen nach Art. 20a GG Staatsziel unseres Landes ist. Die Klimakrise ist existentiell. Insofern sind die Solardach-/Gründachpflicht, das Dämmen von Gebäuden, die Entsiegelung von Flächen, Ausbau der Berliner Stadtwerke und vieles mehr wichtige konkrete Projekte der grünen Fraktion in Berlin. Damit mehr Menschen an Wahlen teilnehmen können, setzen wir uns für die Absenkung des Wahlalters und das Wahlrecht von hier lebenden Menschen auch ohne deutschen Pass ein. Das stärkt die Demokratie. Politik und Klima-Aktivist*innen sollten sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Jede und jeder muss sich an seiner Stelle dafür einsetzen, die Klimakatastrophe zu verhindern.

Bei der TU Berlin bedanke ich mich für die Einladung und die interessante und lebendige Diskussion, auch für die gute Moderation der Veranstaltung.

Den Stream zur Podiumsdiskussion findet Ihr hier:

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